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Wo alles begann

Ein rotes Backsteingebäude in Kinna in der schwedischen Region Västergötland ist seit mehr als 100 Jahren der Hauptsitz des Textilunternehmens Svensson. Hier wurden schon um die vorige Jahrhundertwende eifrig Stoffe produziert. Und auch wenn das Unternehmen seine Produkte heutzutage in mehr als 130 Länder weltweit exportiert, bleibt es seinen Ursprüngen treu.

Text: Petter Eklund Photo: Erik Lefvander

Die Geschichte beginnt genau hier, mit der Fabrik im Zentrum: Svensson in Kinna, eine Backsteinburg, die sich seit 113 Jahren an Ort und Stelle behauptet hat. Schornsteine recken sich zum Himmel, Dampf steigt auf, Lastwagen rumpeln quer über die Bahngleise. Ein Fußweg mit Steinplatten schlängelt sich zwischen kurz gemähtem Rasen an einem Eisenzaun entlang. Er muss vor langer Zeit angelegt worden sein, vermutlich bereits in den Dreißigerjahren des vorigen Jahrhunderts. Obwohl die meisten Mitarbeiter mit dem Auto zur Arbeit kommen, wird er noch immer instand gehalten. Seit annähernd zwei Generationen sind aus der Fabrik hier unten im Tal Textilien in die Welt hinaus transportiert worden. Einst der größte Gardinenproduzent Schwedens, ist Svensson heute der weltweit führende Anbieter von Textilgeweben für die globale Pflanzenzuchtproduktion. Die Grundwerte allerdings sind die gleichen geblieben: Sicherheit und Kontinuität, gepaart mit Einfallsreichtum und Engagement.

 

„In der Region spiegelt sich die industrielle Entwicklung des gesamten Landes wider.“

Ein Großteil des weltweiten Erfolgs basiert sicherlich auf der regionalen Verankerung. Sie vermittelt allen ein Gefühl der Zugehörigkeit. Die Region Sjuhärad, mit ihren wunderschönen Waldhügeln und kleinen Ortschaften, durchzogen von Wasserläufen, erstreckt sich von Mark im Westen bis nach Ulricehamn im Osten. Warum wurde ausgerechnet hier mit der Textilproduktion begonnen? Die Ursachen wurzeln in der Geschichte der Region. „Dies war einst die Grenze zwischen Dänemark und Schweden, hier fand ein lebhafter Handel statt“, erzählt Anne Ludvigson, Geschäftsführerin von Ludvigson Invest, der Svensson-Eigentümerin. Sie entstammt der vierten Generation der Fabrikbesitzer, ist in und mit der Fabrik aufgewachsen – von Ferienjobs bis hin zur Leitungsposition. Ihr Urgroßvater hat das Unternehmen ins Leben gerufen. „Die Landschaft hier ist nicht sehr fruchtbar. Die Menschen mussten sich, ergänzend zur Landwirtschaft stets ein zweites Standbein schaffen, schlicht um zu überleben“, sagt Anne Ludvigson.

Erste Geschäftstätigkeiten nahmen Form an: Auf die Holzarbeiten folgte schon bald der Handel mit Textilien als Nebenerwerb. Die Bauern kauften Garn und Rohstoffe, verlegten die Produktion in die Hütten der Heimarbeiter, wo Frauen sponnen und webten. Anschließend wurden die Stoffe von fahrenden Händlern im ganzen Land unter die Leute gebracht. Die etwas besser gestellten Bauern begannen mit der Errichtung von „Verlagssystemen“ und ließen im Laufe der Zeit schöne Höfe errichten, die heute als Verlegerhöfe bezeichnet werden. Aus diesen Verlagssystemen entwickelte sich eine ganze Industrie. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wurde mit dem Import von Maschinen aus England begonnen: „Die ersten wurden ins Land hineingeschmuggelt. England wollte seine Technik nicht preisgeben, weil es Konkurrenz befürchtete.“

Die Geographie spielte ebenfalls eine wesentliche Rolle. Zum Färben und zur Verarbeitung wird Wasser benötigt, der Fluss Viskan fließt mitten durch die Stadt. Das Wasser wurde zugleich als Antrieb für die Maschinen genutzt. Die Voraussetzungen in der Region waren optimal.
Die Einnahmen aus dem Handel mit Textilien wurden in den Erwerb neuer Maschinen investiert. Entlang des Viskan erwuchsen erste Fabriken: Bekleidungsherstellung in Borås, Webereien in Rydboholm und Fritsla, Heimtextilien, Vorhänge und Möbelbezüge in Kinna.
Einige erfolgreiche Verleger aus der Region Sjuhärad begaben sich nach Göteborg und eröffneten dort weitere Webereien. Ein Ingenieur – Sven Wingquist – erfand das Kugellager und gründete das Unternehmen SKF. Aus diesem sollte später Volvo hervorgehen. „Unsere Region spiegelt die industrielle Entwicklung des gesamten Landes wider. Wir haben unternehmerisches Talent. So steckt es in uns: Man muss einfach hart arbeiten und seine Chancen nutzen“, sagt Anne Ludvigson.

 

Es ist ein ganz normaler Wochentag, die Produktion ist in vollem Gange. Wie jeden Tag wird ein Container mit Svensson-Textilien auf Reisen gehen, denn 85 % der Produkte werden exportiert: in die Niederlande und die USA, nach Australien und Russland.

Sämtliche Unternehmensaktivitäten der Wertschöpfungskette befinden sich in der Fabrik in Kinna unter einem Dach. Erst trifft man auf Designer mit Stoffproben in der Hand, später auf Experten für Licht, dann auf Mitarbeiter, die sich in Lärmschutz und Materialkunde auskennen. In rätselhaften Apparaten wird mit Hilfe simulierter UV-Strahlung die Reaktion der Gewebe auf Sonnenlicht untersucht.

Und dann wären da noch, im tickenden, lärmenden, klopfenden Herzen des Unternehmens, die Maschinen der textilen Produktion. In der Wirkerei und der Weberei werden Produkte für die Unternehmenszweige Climate Screens, Klimaschirme und Interior Textiles – Textilien für öffentliche Einrichtungen – hergestellt. Produkt- und Maschinenentwicklung gehen seit Jahren Hand in Hand. So wurde unter anderem der Weg für den Erfolg der Svensson-Klimaschirme geebnet.

Heute hat die Wirkerei die Größe eines Fußballfeldes und birgt mehrere Reihen gewaltiger Wirkmaschinen. Die Nachfrage nach Klimaschirmen ist groß. Hunderttausende Quadratmeter Gewebe werden hier jede Woche produziert. Kjell-Åke Blomberg, der Leiter der Wirkerei, hat seine Karriere bei Svensson am 20. Januar 1972 als Textilwirker begonnen. Zu jener Zeit sah das Sortiment noch ganz anders aus. „Damals stellten wir jährlich 500 Kilometer ‚Hosenstoff‘ für Kleidung, Verkaufskittel und Pferdedecken her. Sehr beliebt waren auch Großmuttergardinen, die wie von Hand gehäkelt aussahen.“ Mit Jeansstoffen und Betttüchern lässt sich heute kein Geld mehr machen – mit Funktionstextilien, Qualität, Spitzentechnologie und Spezialisierung dafür umso mehr.

 

„Wir wurden alle drei angestellt, und ich hatte anfangs geplant, bis zum nächsten Sommer zu bleiben. Nun bin ich schon 45 Jahre hier“

In der Kettelei wird gekettelt. Das Garn von hunderten Garnrollen wird auf einer großen Stahlwalze aufgewickelt. Es handelt sich um die sogenannten Kettfäden, die späteren Längsfäden des Gewebes. Überall laufen Fäden auf Spulen, mit einer Geschwindigkeit von 700 Umdrehungen pro Minute. Für einen Kettbaum werden bis zu 1500 Fäden benötigt. Leiterin der Kettelei ist Kristina Avramsson Volcini. 1999 hat sie in der Kettelei als Mitarbeiterin begonnen. Ihr Vater arbeitete in der Färberei. „Es ist eine selbstbestimmte Tätigkeit, die Kollegen sind nett und die Stimmung im Team gut“, freut sie sich. Keine noch so kleine Abweichung im schimmernden Lauf der Fäden entgeht ihr und ihren Kollegen. Ein Laser und eine Kamera erkennen zusätzlich Veränderungen und Schäden und stoppen die Maschine automatisch, wenn es zu Fehlern kommt.

2000 begann Lena Eriksson in der Kettelei. „Als ich am ersten Tag am Kettbaum alle diese unzähligen Fäden durch die Luft wirbeln sah, fragte ich mich, ob ich jemals da durchblicken würde.“ Ihre Ausbilderin Ing-Marie machte ihr Mut. Sie arbeitete schon ihr ganzes Leben hier und wusste daher, wie verwirrend es anfangs sein konnte. Am nächsten Tag ging es schon etwas besser, und mit der Zeit hatte Lena den Dreh raus.

Irmeli Kaitasuo ist die Veteranin in der Wirkerei, sie ist bereits seit den frühen Siebzigern dabei. Ihre Familie kam aus Finnland, die Nachfrage nach Arbeitskräften war groß. Ihr Vater arbeitete als Lastwagenfahrer. Im Sommer 1973, im Alter von 15, bewarb sich Irmeli nach Abschluss der Schulausbildung zusammen mit drei Freundinnen bei Svensson. Es ist ein schönes Bild aus vergangenen Tagen, diese drei junge Mädchen, die sich an der Rezeption erkundigten: „Haben Sie Arbeit für uns?“

„Wir wurden alle drei angestellt, und ich hatte anfangs geplant, bis zum nächsten Sommer zu bleiben. Nun bin ich schon 45 Jahre hier“, lacht die Frau. „Als ich hier anfing, dominierten braune und orange Gardinenstoffe. So vieles hat sich geändert, die Arbeit ist abwechslungsreicher geworden und sehr viel selbstbestimmter.“

Bei Svensson werden garngefärbte Stoffe verarbeitet. Zwar ist das teurer und dauert länger, die Produkte zeichnen sich aber durch einen exquisiten Glanz, hohe Qualität und ein lebendiges Aussehen aus, das auf andere Weise nicht erzielt werden kann. In der Färberei treffen wir den Färber Johan Stenström, der seit 1986 hier arbeitet.

„Damals brauchte man nur ins Büro hineingehen und sich bewerben, dann hatte man einen Job. Angefangen habe ich als Garnbereiter, und eigentlich wollte ich gar nicht hier bleiben. Aber es kam eben doch anders. So schlimm kann es also wohl nicht gewesen sein“, sagt er und lächelt: „Wer einmal bei Svensson anfängt, der bleibt.“

Das kann man getrost Unternehmenskultur nennen: Anfänger kommen und bleiben. Sie werden allmählich zu Experten, weil sie von Beginn an in die täglichen Arbeitsprozesse eingebunden sind und sich so die entscheidenden Tricks und Kniffe aneignen. Jetzt sollen 512 Garnrollen gefärbt werden. Sie werden aus den Kartons genommen und auf ein Gestell gesteckt, das anschließend in einem „Autoklaven“ platziert wird – eine Art riesiger Schnellkochtopf, der mit Wasser gefüllt ist. Aber auch hier ist die Entwicklung zügig vorangegangen. „Wir benötigen immer weniger Wasser pro laufendem Meter und haben strenge Kontrollen, um die Umwelt- und Qualitätszertifizierungen zu erfüllen“, sagt Färber Johan Stenström.

Inmitten von riesigen Walzen, im „Lager 08–30“, finden wir Dilan Ibrahim, die eine Walze mit einer 800 Meter langen grünen Kettbahn durch den Raum manövriert. Seit drei Jahren arbeitet sie bei Svensson als Weberin. Sie ist technisch interessiert, Maschinen üben eine besondere Anziehungskraft auf sie aus. Vorher hat die gelernte Schweißerin Autos repariert, auf der Suche nach einem festen Job ist sie schließlich hier gelandet. „Bald wurde mir klar, dass die Weberei ein Handwerk für sich ist, das viel Zeit in Anspruch nimmt und eine Menge Erfahrung voraussetzt. Jetzt weiß ich Stoffe ganz anders zu schätzen und verstehe, dass sie ihren Preis haben. Ich habe eine völlig neue Perspektive gewonnen“, erzählt sie, während sie gleichzeitig die rund ein Dutzend Maschinen im Auge behält, für die sie verantwortlich ist.

Ihre Zweitausbildung dauerte sechs Monate, in denen sie zuerst in der Wirkerei und später in der Weberei eingesetzt wurde. Dort ist sie die zweitjüngste Mitarbeiterin. „Es macht viel mehr Spaß, als ich mir hätte vorstellen können. Es kann so viel passieren, man ist viel mit Problemlösungen beschäftigt. Manche Stoffqualitäten sind anfälliger für Probleme, aber die Fehlerquote ist dennoch sehr gering.“ Dilan Ibrahim stammt aus Syrien, ist aber im Libanon aufgewachsen und 1989 mit ihrer Familie als Flüchtling nach Schweden gekommen. Sie hat gerade das Knüpfen erlernt, eine komplexe Maschinenfertigkeit, bei der eine Kettbahn mit der nächsten verbunden wird – eine die Geduld auf die Probe stellende Fummelei mit tausenden Fäden, die korrekt gekämmt und zwischen unzähligen Maschinendetails eingefügt werden müssen.

„Das Aneinanderknüpfen von Kettbahnen war am schwierigsten zu erlernen. Es war eine echte Herausforderung, hat mir aber zugleich großen Spaß gemacht“, erzählt Dilan Ibrahim. Jetzt möchte sie sich zur Textilmaschinenführerin in der Weberei weiterbilden. Sie ist ein gutes Beispiel für die offene Unternehmenskultur bei Svensson: Wer neugierig und wissensdurstig ist, für den bietet die Fabrik nicht nur einen sicheren Arbeitsplatz, sondern auch die Möglichkeit, im spannenden Grenzbereich zwischen Technik und Design tätig zu sein. Als Innovationsträger ist das Textilunternehmen auch ein Garant für den Wohlstand der Region.

Anne Ludvigson bringt den Unternehmensgeist, den Familiensinn der Svenssons, der über Generationen auf dem fruchtbaren Boden des Textilreichs entlang des Flusses gediehen ist, auf den Punkt:

„Nur in dieser Region findet man Kompetenz und Tradition. Wir sind lösungsorientiert, unkompliziert. Die Arbeit mit uns fällt leicht, die Türen stehen jedem offen. Diese Einstellung tragen wir in die Welt hinaus. Wir sind äußerst anpassungsfähig. Ohne dabei allerdings von unseren Wertgrundlagen und unserem Unternehmensgeist abzuweichen"

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